Laut Gutachten sollte nicht mehr als ein Kubikmeter pro Sekunde im Jahresschnitt in den Neusiedler See eingeleitet werden. Warum?
2004 war im Gespräch, eine Zuleitung von bis zu vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Jahr zuzulassen. Es war auch ein deutlich höherer Grenzwasserstand von 115,5 Meter über Adria geplant. Das wurde in einem Gutachten damals eher negativ beurteilt. Warum? Weil dann Wasser – etwa bei höheren Niederschlägen – auch rascher wieder ausgeleitet werden muss. Das Problem dabei ist: Mit jeder Ableitung von Wasser gehen über den Abfluss des Einser-Kanals auch große Mengen an Salzen verloren. Für den Erhalt des Sees ist der Salzhaushalt aber in Hinblick auf das ökologische Gleichgewicht essenziell.
Das heißt, maximal ein Kubikmeter Wasserzufuhr über das Jahr wäre das Limit?
Das Gutachten von 2021 kam zu dem Ergebnis, dass eine durchschnittliche Menge von einem Kubikmeter pro Sekunde – bei einem Grenzwasserstand von 115,20 Meter über Adria – in Hinblick auf den Chemismus des Sees verträglich ist. Damit käme man auf rund 30 Millionen Kubikmeter pro Jahr, was dem natürlichen durchschnittlichen Abfluss der Wulka in den See entspricht. Zwar können phasenweise auch zwei Kubikmeter eingeleitet werden, aber im Durchschnitt übers Jahr sollte es nicht mehr als ein Kubikmeter sein.
In den Medien war zuletzt öfters von zwei Kubikmeter pro Sekunde die Rede. Welche Auswirkungen hätte das?
Das wäre bei einer theoretischen ganzjährigen Wasserzufuhr die doppelte Menge. Dann würden 60 Millionen Kubikmeter Fremdwasser statt 30 Millionen in den See eingeleitet werden. Dementsprechend höher wären die Auswirkungen, die eine Wasserzufuhr hat – sowohl auf die Zusammensetzung des Wassers wie auch auf die im See lebenden Organismen.
Allerdings kann man nicht einfach sagen, diese Menge zusätzliches Wasser ‚verträgt‘ der See noch, und diese Menge nicht mehr. Die Übergänge sind fließend. Eine Erhöhung der maximalen Menge auf zwei Kubikmeter wäre jedenfalls eine Abkehr von dem Szenario, das wir bewertet haben und von dem alle eigentlich seit Jahren ausgegangen sind.

Seen und Flüsse sind auch andernorts durch gestiegene Wassertemperaturen, Fremdorganismen und Übernutzung unter Druck geraten. In der Donau tummeln sich ortsfremde Muscheln – wie die Asiatische Körbchenmuschel – und Schnecken, Krebse und Fische. Sie erweisen sich oft als sehr flexibel, wodurch heimische Arten zurückgedrängt und Ökosysteme verändert wurden. Wie lässt sich verhindern, dass sich das im Neusiedler Sees wiederholt?
Invasive Organismen sind ein heikler Punkt, der nicht gelöst ist. Es gibt bis heute kein klares Konzept, wie man verhindern kann, dass invasive Arten in den See gelangen. Es gab Überlegungen, das zugeführte Wasser durch einen Filter laufen zu lassen. Solche Anlagen sind oft groß und kostenintensiv. Im Fall des Neusiedler Sees würden wir bei zwei Kubikmeter von riesigen Filteranlagen sprechen.
Wäre es denkbar, das Fremdwasser durch den Boden sickern zu lassen und so zu filtrieren?
Bei einem oder sogar zwei Kubikmeter Wasser pro Sekunde müsste das eine riesige Fläche sein. Das wäre ja die doppelte Menge der Wulka bei Mittelwasser. Das wäre ein beachtlicher Abfluss, der permanent versickern müsste. Wenn, dann müsste das ein technischer Filter mit einer bestimmten Körnung und Bohrung sein, dass das funktioniert. Allerdings: Je feiner die Bohrung, desto mehr halte ich an Wasser zurück. Für den Widerstand, der dabei entsteht, müsste man ein dementsprechendes Gefälle aufbauen. Ich bin skeptisch, dass sich das Problem auf diesem Wege lösen lässt.
Zur Person: Georg Wolfram studierte Biologie an der Universität Wien. Schwerpunkt: Gewässerökologie, Gewässerbewertung und Gewässermanagement, Fischökologie, Hydrochemie. Langjährige Tätigkeit als Gutachter und Konsulent in der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Er war an zahlreichen Forschungsprojekten zum Neusiedler See beteiligt.
Im Weißbuch „Das Ende des Neusiedler Sees? – Eine Region in der Klimakrise“ findet sich sein lesenswerter Beitrag zum besseren Verständnis des Sees „Wasserqualität und Gewässerökologie: Von der Empfindlichkeit eines Steppensees“.