Am Abend des 18. September schrillt bei allen Menschen, die sich im Bereich der Leitha und der Schwechat an der Bundesländergrenze zwischen Burgenland und Niederösterreich bewegen, das Handy: Alarm. Eine „amtliche Warnung“ informiert: Aufgrund der Niederschläge am Ursprung der Leitha bestehe wegen aufgeweichter Dämme weiterhin Gefahr. Betroffen sind die Gemeinden Bruckneudorf, Potzneusiedl, Gattendorf, Pama, Zurndorf, Deutsch Jahrndorf, Nickelsdorf.
Während in den Gemeinden oberhalb der Leitha die Pegelstände sinken und bereits mit ersten Aufräumarbeiten begonnen wird, gibt es weiter unten am Fluss noch keine Entwarnung. Die Hochwasserwelle erreicht diese Gemeinden erst verzögert.
Eine massive Regenfront, die eine lange Hitzephase beendete, brachte in Teile von Österreichs Flusssystemen enorme Wassermengen ein. Auch in die Wulka und in die Leitha. Im Nordburgenland kam man vergleichsweise glimpflich davon. In Neufeld, etwa 70 Kilometer von den nun betroffenen Gemeinden, erreichte die Leitha bislang unbekannte Pegelhöchststände. Stürme rissen in der Region Bäume aus dem bereits aufgeweichten Erdreich, auf Feldern knickten die Maispflanzen um. 180 Freiwillige Feuerwehren rückten im gesamten Burgenland aus, um gefährdete Dämme zu verstärken, Siedlungen durch Sandsäcke zu schützen, überflutete Keller auszupumpen. Die Region Neusiedler See hatte vor allem mit Sturmschäden zu kämpfen.
Einige Bereiche des Wassersystems in der Region Neusiedl am See profitierten allerdings auch von den Niederschlägen. Der Pegel des Neusiedler Sees erhöhte sich um 14 Zentimeter und liegt nur noch sieben Zentimeter unter dem langjährigen Mittel.
Vor allem auch für die Grundwasseranreicherung hat der tagelange Regen positive Effekte. Die Messstellen zeigen bereits höhere Werte an. Das Regenwasser, das langsam ins Erdreich einsickert, wird für weitere Steigerungen sorgen.
Hochwasserschutz wirkt, flankierende Maßnahmen nötig
Dass es zu keinen stärkeren Überflutungen kam, hat mit der Verteilung der Niederschläge, aber auch mit Vorkehrungen zum Hochwasserschutz zu tun. Anlässe gab und gibt es immer häufiger, 2002 kam es zuletzt im Bezirk Bruck zu einem hundertjährlichen Hochwasser, die Ereignisse häufen sich.
An der Leitha entstanden in den vergangenen Jahren mehrere Retentionsbecken und Überflutungsflächen: in den niederösterreichischen Gemeinden Lichtenwörth (etwa 60 bis 70 Hektar, teils Auwälder, teils Agrarflächen) und Katzelsdorf, oder auch im burgenländischen Hornstein, wo drei Rückhaltebecken (insgesamt 34.000 Kubikmeter Gesamtvolumen) im Akutfall für Entlastung sorgen sollen. Weitere, kleinere sind in Planung, so wie auch Grundteiche als naturnähere Rückstauräume. Das gilt auch für weitere Leitha-Anrainergemeinden.
Helmut Rojacz, langjähriger Leiter des Referats Wasserwirtschaftliche Planung im Burgenland, sieht in Maßnahmen wie diesen einen wesentlichen Grund, warum es zu keinen größeren Überschwemmungen kam.
„Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Die Stauräume, die an der Leitha über die Jahre errichtet wurden, haben gezeigt, dass solche Maßnahmen funktionieren. Allerdings muss man dort, wo es bislang keine Regulierungen gibt, bei Ereignissen wie diesen, mit Problemen rechnen. Es gibt zwar an vielen Orten natürlich angelegte Erddämme, stehen diese aber mehrere Tage unter Wasser, kommt es zu einer Aufweichung und damit Instabilität der Dämme.“
Helmut Rojacz
Naturschutz berücksichtigen
Weitere Investitionen seien notwendig, insbesondere aufgrund der Klimaerwärmung und damit verbundene Häufung solcher Ereignisse. Mittlerweile, so Rojacz, würden viele der Retentionsbecken auch naturnäher gestaltet, mit Grundseen, die auch ökologisch sowie für Wild interessant sind. Die Ein- und Auslaufbereiche bleiben technisch, sie bestehen aus Beton, Stahl und Rohren.
Ein Thema, das erst seit etwa zehn Jahren verstärkt im Fokus ist, sind laut Rojacz die Probleme, die sich durch Hangwasser ergeben. Ab einer bestimmten Hangneigung kommt es zu Erosion, ein Gemisch von Wasser und Erdreich bewegt sich talwärts und verstopft Kanalanlagen, was wiederum bis zur Überflutung von Siedlungsteilen führen kann. Ein kompliziertes System, in dem vor allem auch die Einzugsgebiete eine wichtige Rolle spielen.
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Projekten und Initiativen, die sich mit der Problematik von Hochwässern beschäftigen. Auf der Website der KEM & KLAR! Leithaland, einer Gemeinschaft für Fragen nachhaltiger Energie und von Klimaschutz, werden Überflutungsflächen und auch die Problematik von Hangwasser diskutiert. Anhand mehrerer Gemeinden werden betroffene Flächen dargestellt.
Renaturierung geboten
Verstärkt durch die Klimaerwärmung führen aber hauptsächlich die über Jahrzehnte erfolgten Flussbegradigungen und Baulandwidmungen entlang dieser Flüsse zu Problemen. Auf der Website von HORA werden die Hochwasserzonierungen in Österreich dargestellt. Hier lassen sich sehr anschaulich etwa die Überschwemmungsflächen von Leitha und Wulka ablesen.
Auch die Leitha ist – wie die meisten Flüsse und Bäche in Österreich – von massiven Begradigungen betroffen. Von den zahlreichen Mäandern ist nur noch ein Rest übrige. Das hat gravierende Auswirkungen: eine Beschleunigung der Fließgeschwindigkeit, fehlende Stauräume, eine Eintiefung des Grundwassers sowie eine Verarmung der biologischen Vielfalt. Mehr zu den Auswirkungen und Handlungsmöglichkeiten hier.
Mit welch hohen Kosten Renaturierung und Hochwasserschutz der großteils nach 1945 erfolgten „Begradigungen“ verbunden sein können – Bachläufe wurden nicht selten betoniert – zeigen etwa die derzeitigen Arbeiten am Liesingbach in Wien. Derzeit werden neun Kilometer des Baches naturnahe gestaltet. Unter dem Bachbett selbst wird ein Kanal für die Ableitung verschmutzter Oberflächenwasser Richtung Kläranlage gebaut, um die Wasserqualität der Liesing zu verbessern. Die Kosten von Renaturierung und Hochwasserschutz mit Regenwasserkanal und Speicherbecken belaufen sich auf rund 83 Millionen Euro.
Für den Hochwasserschutz ist die auf EU-Ebene beschlossene Renaturierungsrichtlinie von zentraler Bedeutung. Nicht nur in ökologischer Hinsicht, sondern auch, was den Hochwasserschutz betrifft.
Seit vielen Jahren kritisiert die Wissenschaft auch die Bodenversiegelung in diesem Zusammenhang. In einem APA-Interview bezeichnete der Hydrologe Helmut Habersack (BOKU Wien) aus aktuellem Anlass den Flächenverbrauch als „Beschleuniger“ von Flutereignissen. Er rät zu einer gründlichen Evaluierung der Schäden und Mängel und meint:
„Wir müssen den Flächenverbrauch drastisch verringern. Mit einem täglichen Verbrauch von 12,5 Hektar, die sich großteils an den Flüssen befinden, schaden wir uns doppelt: Wir beschleunigen und erhöhen wissenschaftlich nachweislich die Hochwasserwelle. Und wir vernachlässigen den Bodenschutz und die Bodenerhaltung, die in Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz stehen.“
Helmut Habersack
Er weist zwar darauf hin, dass sich Hochwasserschutz grundsätzlich gut bewährt habe, dass aufgrund der technischen Maßnahmen aber auch eine trügerische Sicherheit entstünde. Siedlungen direkt hinter Verbauungen seien wenig sinnvoll. Denn gerade durch die Klimaerwärmung würde Hochwasserschutz, der auf hundertjährliche Hochwässer ausgerichtet ist, nicht mehr ausreichen. Gesicherte Überströmstrecken und sekundäre Präventionsmaßnahmen reichen nicht mehr:
„Man muss eventuell auch Flächen freihalten, die eigentlich durch primäre Maßnahmen geschützt sind. Dazu braucht es mehr öffentliche Bewusstseinsbildung und eine angepasste Raumplanung.“
Helmut Habersack
Warum fielen die Niederschläge so heftig aus?
Gewitter und starke Niederschläge hat es natürlich immer gegeben. Warum aber finden diese Ereignisse mit einer zunehmend höheren Intensität und auch häufiger statt? Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima am Grazer Wegener Center for Climate and Global Change ortet dafür im Interview mehrere Ursachen.
Aufgrund der Klimaerwärmung ist mehr Feuchtigkeit in der Luft. Dadurch habe die Wetterlage, die durch Mitteleuropa gezogen ist, mehr Feuchtigkeit mit sich gebracht, als das etwa vor 50 Jahren der Fall gewesen wäre. Verstärkt wird dieser Effekt durch weitere Faktoren. Der plötzliche Kaltlufteinbruch traf auf ein extrem warmes Mittelmeer, wodurch deutlich mehr Feuchtigkeit verdunsten und damit weitertransportiert werden konnte.
Die Erwärmung des Mittelmeeres wiederum ist selbst eine Folge der Klimaerwärmung, aber wohl auch der besseren Luftqualität in Europa. Weniger Schadstoffteilchen in der Luft streuen weniger Sonnenlicht ins Weltall zurück. (Mehr zu diesem Thema hier.) Prognostiziert wird, dass die Anzahl der Niederschlagstage im Sommer insgesamt weniger werden, weil sich die Atmosphäre stabilisiert und wir stärker unter Hochdruckeinfluss kommen, so Maraun. Entstehen Gewitter, fallen diese dadurch heftiger aus. Es ist in dieser Konstellation wesentlich mehr Energie im Spiel.
Wie bereits im sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) nachzulesen ist, werden Starkregen in vielen Weltregionen zunehmen. Darauf müsse man sich mit dementsprechenden Maßnahmen einstellen. Die Hochwassergefahr ist dabei ein Aspekt, ein anderer – denkt man etwa an den Seewinkel – die Möglichkeit, die grundsätzlich geringen Niederschlagsmengen im pannonischen Raum möglichst gut zu nutzen. Um sie in das von Wasserknappheit geprägte System einzubringen.