Der Neusiedler See gibt auch der Wissenschaft immer wieder Rätsel auf. Während alpine Seen, die viel tiefer als der flache Steppensee waren, längst verschwunden sind, existiert dieses große flache Gewässer, das auf ungarisch Fertő tó (wörtlich: Sumpf) heißt, immer noch. Über das Alter des Neusiedler Sees, nahm man bisher an, dass er 10.000 Jahre alt ist. Ein interdisziplinäres Team hat nun mithilfe der Radiokarbon-Methode ausgerechnet, dass der See 25.000 Jahre oder noch älter ist.
Damals war der See (der Paleo-Neusiedler See) allerdings wesentlich größer – und Teil eines dynamischen Feuchtgebiets, das auch mit den weit verzweigten Donau-Auen temporär verbunden war. Ein Team der BOKU Wien (Universität für Bodenkultur) hat nun in einer Studie gemeinsam mit der Uni Wien, der Uni Innsbruck und der TU Graz an mehreren Orten die Mineralien untersucht – und ermittelt, wann diese sich gebildet haben.
Anhand des Wachstums von Mineralien das Seealter bestimmt
In Jois, im Nordosten des Sees, fand man die ältesten Seeablagerungen. Dort wird heute Wein angebaut. Die Gesteinsmessung ergab nun eine recht genaue Datierung von 25.000 Jahren. Dieses Ergebnis hat Stephanie Neuhuber „erstaunt, weil das in die letzte Eiszeit fällt, wo eigentlich relativ wenig Wasser gewesen sein muss.“ Die Wissenschafterin vom Institut für Angewandte Geologie der BOKU Wien erzählte im Gespräch mit der APA, wie das Team vorgegangen ist. Untersucht wurden die Karbonatmineralien, die sich aufgrund spezieller chemischer Vorgänge direkt aus dem Wasser des Neusiedler Sees auskristallisierten, so Neuhuber. Weil größere Minerale wesentlich älter sind als kleinere, konnte ihre Wachstumsgeschwindigkeit bestimmt werden.
Wobei – Geschwindigkeit müsste man hier unter Anführungszeichen setzen. Pro 1.000 Jahre betrug das Wachstum 200 bis 600 Nanometer. Um sich das vorzustellen: Ein Nanometer beträgt 0,000 001 Millimeter. Die Radiokarbonmethode im Neusiedler See anzuwenden, war laut Neuhuber etwas komplizierter, als wenn man in einem anderen See forscht. Dort funktioniert das mit einem Bohrkern, der tief in die ältesten Schichten des Sees führt. Der Grund des Neusiedler Sees, keine zwei Meter tief, besteht dagegen aus mehreren Schlammschichten. Sie werden durch die Flachheit des Sees und den Wind permanent bewegt. Um das Mineralwachstum zu berechnen, müsse man zudem berücksichtigen, dass der See immer wieder ausgetrocknet war.

Radiocarbon: Wie verlässlich ist diese Messmethode?
Wie genau lässt sich das Seealter mit der Radiocarbon-Messung tatsächlich bestimmen? Wir haben bei Stephanie Neuhuber und Erich Draganits vom Forschungsteam nachgefragt. Beide weisen darauf hin, dass die Hydrologie und die Gestalt des Sees heute wesentlich anders ist als früher. Seit dem 16. Jahrhundert wurden Dämme und Kanäle gebaut, die massiv in den Wasserhaushalt des Feuchtgebiets eingegriffen haben.
Das Alter des Neusiedler Sees ist laut Ihrer jüngsten Untersuchung mit 25.000 Jahren doppelt so alt wie bisher wissenschaftlich angenommen. Wie verlässlich ist die Methode, die der Berechnung zugrunde liegt. Wurde dieses Verfahren für die Ermittlung des Alters eines Sees erstmals angewandt?
Vorausschickend: jede Datierung ist mit einer Unsicherheit behaftet, es ist ein Messwert aus einer Maschine, die mit einer ihr eigenen Unsicherheit misst. Für Radiokarbon ist die Unsicherheit sehr gering. Die Messmethode wurde besonders für sehr kleine Probemengen von der Forschungsgruppe Isotopenphysik der Universität Wien entwickelt. In unserem Fall berechnen wir das Alter durch 5 Messpunkte – je ein Messpunkt in einer Korngröße – , die sich gegenseitig bestätigen und einem linearen Trend folgen. Aus diesem Trend wird das Bildungsalter berechnet.
Mit den derzeitigen Überlegungen haben wir das Alter für eine Probe ausserhalb des heutigen Neusiedler Sees mit ca. 25.000 Jahren nach besten Möglichkeiten eingegrenzt. Wichtig ist, dass diese 14C Aktivität, die in ein Alter konvertiert wird, ein Mindestalter darstellt. Es könnte durchaus sein, dass bei anderen Proben ein anderes Alter berechnet worden wäre.
Der Paleo-See, dessen Ausdehnung weit größer war als der gefüllte Teil des Seebeckens von heute, war Teil eines großen Feucht- bzw. Sumpfgebiets. Der See ist mit einem Alter von 25.000 Jahren also vor dem Ende der letzten Eiszeit entstanden. Wie kann man sich das vorstellen?
Was wir herausgefunden haben ist, dass die Karbonatminerale des Paleo-Neusiedler Sees sich in einem hydrochemisch etwas anderen See gebildet haben. Dieser See hatte eine niedrigere Ionenkonzentration und war den Seen in den Voralpen chemisch ähnlicher als der heutige Neusiedler See. Das Alter dieser Ablagerungen war für alle Beteiligten eine Überraschung, da in einer Kaltzeit eher von trockeneren Bedingungen auszugehen ist, als in einer Warmzeit, so wie wir sie heute erleben.
Wo das Wasser herkommt ist nicht geklärt und war auch nicht Gegenstand der Untersuchung. Ein Gedanke dazu: Das Neusiedler See-Gebiet muss auch damals schon einer der tiefsten Bereiche in dieser Gegend gewesen sein. Deshalb konnte sich dort wohl Wasser sammeln, egal welcher Herkunft: Niederschlag, kleine Zuflüsse aus dem Westen, oder sogar schon aus dem Süden. Eventuell hat zu dieser Zeit die Donau von Osten her rückgestaut und so mehr Wasser in das Gebiet eingebracht, oder der Grundwasserspiegel war etwas höher..
Die Untersuchung hat breite mediale Resonanz, das zeigt das hohe öffentliche Interesse. Lässt das auch neuen Erkenntnisse für das Verständnis des Neusiedler Sees für heutige Problematiken, Stichwort Klimaerwärmung und menschliche Eingriffe, zu? Oder könnte man so auch mehr über die Salzlacken erfahren?
Das Gebiet um den Neusiedler See wird seit hunderten von Jahren nachweislich trockengelegt, das Umland wird agrarisch genutzt, der Grundwasserkörper im Seewinkel für Bewässerung eingesetzt. Abwässer oder auch höher temperiertes Wasser wird über die Wulka in den See eingebracht. Die Wachstumsraten des untersuchten Minerals sind jedoch so langsam – nur wenige hundert Nanometer pro tausend Jahre -, dass kurze Austrocknungsphasen oder andere Unterbrechungen mit dieser Methode nicht auflösbar sind. Detektierbar wären nur lange, also hunderte Jahre andauernde Unterbrechungen des Mineralwachstum.
Eine interessante Fortsetzung des Projektes wäre es, diese Methode in den Sedimenten der Lacken anzuwenden, in denen es auch Karbonatausfällungen gibt. Dann könnte man sehen, wann diese Strukturen entstanden sind.