Felder, Wälder, Schutzgebiete – Welche Lebensräume regelt das Renaturierungsgesetz?

Panikmache oder berechtigte Sorge? Das EU-Gesetz zur Verbesserung verschiedener Lebensräume ist beschlossen. Worum es überhaupt geht, klärt der Naturschutzexperte Wolfgang Suske auf. In Teil 2 des Gesprächs werden wir über die Umsetzung der Verordnung in Österreich sprechen.

Die Diskussion über die Renaturierungsverordnung geschädigter Ökosysteme war – und ist wohl – von vielen Emotionen und Vorbehalten begleitet. Vor allem von Seiten der Landwirtschaft. Vielleicht können wir eingangs klären, welche Lebensräume vom Gesetz überhaupt betroffen sind. Geht es nur um die Landwirtschaft?

Nein, definitiv nicht. Das Gesetz ist sehr breit aufgestellt. Es betrifft die Landwirtschaft genauso wie die Forstwirtschaft, den Gewässerbereich und die Siedlungen.

Ein großer Teil der Verordnung beschäftigt sich mit den Schutzgebieten innerhalb der EU. Das dürfte viele überraschen, dass auch sie von der Verordnung betroffen sind. Das hat aber einen guten Grund: Wir haben bei der Umsetzung der beiden Naturschutzrichtlinien – der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie – ein klares Defizit. Es ist zwar gelungen, die Habitate und Lebensräume zu erhalten. Nicht gelungen ist hingegen, sie zu verbessern und weiterzuentwickeln. Das liegt daran, dass diese Richtlinien zwar ein Verschlechterungsverbot kennen, aber kein Verbesserungsgebot. Deshalb ist beim Management dieser Gebiete in dieser Hinsicht einfach nicht viel passiert. Dass das Renaturierungsgesetz hier eine ganz konkrete Vorgabe macht, ist äußerst wichtig. Lebensräume in schlechtem Zustand müssen sich bis 2050 verbessern.

Das Gesetz sagt, dass auch der Zustand anderer Lebensräume verbessert werden soll, etwa unserer Gewässer. Die Renaturierung von Bächen und Flüssen findet teilweise bereits statt – etwa der Rückbau von harter Uferverbauung oder Aufweitungen. Worum soll es nun in der Verordnung gehen? 

Dieser große, andere Teil der Verordnung beschäftigt sich ergebnisorientiert mit den gesamten Ökosystemen. Das halte ich für einen sehr innovativen Ansatz. Was bedeutet das konkret für die Flüsse? Die Lebensadern unserer Landschaft sind Bäche und Flüsse. Im Fokus der Verordnung steht vor allem die Frage, wie es um ihre Durchgängigkeit bestellt ist: Gibt es Sperren, die Fische oder andere aquatische Organismen behindern? Falls es Barrieren gibt, die mittlerweile obsolet sind, müssen sie innerhalb der nächsten Jahre beseitigt werden. Vielen Menschen ist gar nicht klar, wie viele dieser völlig unnötigen Sperren es in Österreichs Gewässern eigentlich gibt.

Auch der Wald, oder konkreter, der bewirtschaftete Wald, soll in einen besseren Zustand gebracht werden. Beim Stichwort Wald denkt man mittlerweile automatisch an die Klimaerwärmung und den Borkenkäfer. Wie sieht der Handlungsbedarf hier aus?

Im Bereich der Forstwirtschaft hat Österreich sicherlich eine entspanntere Situation. Wir haben aufgrund unserer Topographie und des damit zusammenhängenden sehr hohen Anteils an Schutzwäldern ein sehr strenges Forstgesetz. Unser Forstgesetz setzt Grenzen, die man zum Beispiel in den Niederlanden oder in den baltischen Ländern nicht hat. Dennoch gibt es auch bei den Wäldern Wiederherstellungsbedarf. Als Beispiel bringe ich die Auwälder, hier werden in manchen Regionen wertvolle Artenzusammensetzungen durch großflächige, intensiv nutzbare Hybridpappel-Aufforstungen ersetzt.

Und natürlich bringt der Klimawandel einen massiven Handlungsbedarf im Wald mit sich. Die Artenzusammensetzung der Wälder muss an diesen angepasst werden. Dabei ist der Borkenkäfer ohnehin viel schneller als das Renaturierungsgesetz, weil er uns jetzt schon zwingt, eine vernünftige Forstwirtschaft zu betreiben. Insofern ist es unverständlich, dass die Forstwirtschaft so gegen das Renaturierungsgesetz aufgetreten ist. Ein Wald, der nicht klimafit ist, ist eigentlich für niemand mehr eine Option. Diskussionen wird es eher bei den Details geben: Wie können zukünftige Baumarten-Mischungen aussehen, die Wert für die Biodiversität und die Wirtschaft haben. Aber dass man einzelne Bäume für Spechte stehen lässt – da hat mir noch kein einziger Waldbauer erklärt, dass das ein Problem wäre.

Renaturierungsgesetz: Was können Siedlungsräume zur Artenvielfalt beitragen?

Interessant, dass auch urbane Räume Teil der Renaturierungsverordnung sind. Was können Städte zur Biodiversität beitragen?

Stadt-Ökosysteme können einiges zur Artenvielfalt beitragen. Das geht ein bisschen unter. Das großartige ist, dass wir mit dem Gesetz nun die erste Naturschutzverordnung haben, die Siedlungsräume miteinschließt. Das war schon bitter notwendig. Die Verordnung besagt, dass die Stadt-Ökosysteme ab 2030 mehr Fläche einnehmen müssen und sich bis dahin nicht verkleinern dürfen. Als Stadtökosysteme gelten dabei nicht nur Parkanlagen, sondern auch Gewässer, krautige, insektenfördernde Bestände und vieles mehr. Eine wichtige Frage dabei ist: Welche Siedlungsräume betrifft es? Das wurde in dem Gesetz nicht abschließend geklärt, weil die Siedlungsräume in Europa sehr heterogen sind. Dies wird also von den Staaten selbst definiert. Aber nicht nur Städte Wien, Innsbruck oder Graz sind betroffen, sondern auch Siedlungen mit 5.000-10.000 Einwohner werden in diese Regelung fallen. Warum ich die Umsetzung in den städtischen Siedlungsräumen optimistisch sehe ist, dass es in den Siedlungsräumen viele Menschen gibt, die bereits etwas tun oder etwas beitragen wollen, aber nicht wissen, wie sie es umsetzen können. Ihnen muss in den nächsten Jahren eine Plattform geboten werden. Also ich denke, dass das ein wichtiger Bereich sein wird, wo eine Bürgerbeteiligung gefragt und auch entscheidend ist.

Es gibt häufig eine Polarisierung zwischen Stadt und Land, da muss man nicht nur an die Akzeptanz des Wolfes denken. Wie verhält sich das im Fall der Renaturierung? Viele Gärten in Siedlungen sehen eher steril aus.

Überspitzt formuliert: Was das Renaturierungsgesetz schafft, ist, dass die Bauern sagen: Es ist offenbar okay, dass wir unsere Wiesen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugunsten der Insektenvielfalt mähen sollen, während in den Siedlungen die Mähroboter das halbe Jahr unterwegs sind. So quasi: Wo ist euer Beitrag für eine vielfältige Kulturlandschaft, für die Biodiversität, für die Falter? Dass die Bauern und Bäuerinnen das auch bei den Städtern einmahnen, ist gerechtfertigt. – Man muss aber auch dazusagen: Es gibt nicht wenige Städter, die etwas für die Biodiversität machen.

Ein Beispiel zur Stärkung der Populationen von Faltern, von Insekten und Vögeln: Der Neuntöter z.B. liebt Hecken, wo er auf ein paar Dornen sein Futter aufspießen kann. So eine Hecke kann jeder in seinem Garten anlegen. Man kann auch eine Thujenhecke, die ökologisch gar nichts bringt, gegen eine biologisch wertvolle Hecke austauschen. Viele tun das auch schon. Denn der Vogel, der dort drinnen sitzt und brütet, kommt auch in die Kulturlandschaft. Die Räume, von denen wir sprechen, sind ja nicht isoliert. Und sie gehören vernetzt. Auch Gemeinden können auf dem Gelände von Kindergärten und Schulen zum Beispiel Wildfruchthecken anlegen. Da lernen die Kinder etwas, man kann etwas ernten, und die Vögel haben Nahrung. Wir dürfen gedanklich sicherlich nicht bei der Landwirtschaft stehen bleiben.

Wie verhält sich das mit Mooren? Können Bauern und Bäuerinnen, deren Felder auf drainagierten Feuchtgebieten liegen, zur Renaturierung der Flächen gezwungen werden?

Die Moore gehören zum Kapitel der Landwirtschaft. Hier gab es vielfach die Befürchtung, dass Moore, die fleißig entwässert wurden, überall wieder hergestellt werden müssen. So kam auch die Enteignung ins Spiel. Gerade in diesem Artikel ist definitiv erwähnt, dass die Wiederherstellung von Mooren nur auf Basis von freiwilligen Teilnahmen umgesetzt wird.

Aber die Verbesserung und Wiederherstellung unserer Moore ist ein immens wichtiger Aufgabenbereich. Jeder, der sich für Ökologie nur ein bisschen interessiert, weiß, dass Moore einen massiven Mehrfachnutzen haben. Sie speichern sehr viel Kohlenstoff, das sonst klimaschädlich freigesetzt würde. Sie sind aber auch ein wichtiger Raum in der Landschaft. Interessant ist, dass die Aktivitäten zur Entwässerung von Mooren in Österreich unterschiedlich schnell verlaufen sind. Manche Bundesländer haben hier viel mehr Moorflächen entwässert und zerstört als andere. In welchem Bundesland glauben Sie, liegen 25 Prozent der heute noch vorhandenen Moore Österreichs? Sie sind im kleinsten Bundesland, in Vorarlberg. Das muss man sich vorstellen. Salzburg und Oberösterreich hatten sehr viele Moore, beide haben massiv entwässert.

Landwirtschaft auf entwässerten Moorboden zu betreiben, das passt einfach nicht mehr. Wir sprechen hier von Böden, die historisch 100 Meter tief sind. Da hat die Natur offenbar etwas anderes vorgehabt, als dass oben Kukuruz angebaut wird. Dass hier ein neues Denken stattfindet, ist also sehr okay. Das hat sich unsere Landschaft auch verdient.

Ein großer Teil des Gesetzes beschäftigt sich mit der Landwirtschaft. Ist sie der Bereich, der am meisten zu den Zielen der Verordnung beitragen kann?

Ja, in der Agrarlandschaft bzw. in der offenen Kulturlandschaft besteht sicherlich am meisten Handlungsbedarf. Insofern verstehe ich auch die Emotionen der Landwirte, sie sind besonders betroffen. Die Bauernvertreter argumentieren, dass sie es waren, die die Biodiversität überhaupt erst in die Kulturlandschaft gebracht haben. Dazu kann man nur sagen: Das stimmt, das ist vollkommen richtig. Aber genau deswegen haben sie es jetzt in der Hand, dass das so bleibt oder wieder besser wird. Es geht also nicht darum, was nun gut oder schlecht in der Landwirtschaft ist. Sondern dass die Landwirte einfach fantastische Möglichkeiten haben, ein gesundes Ökosystem herzustellen. Deshalb wendet man sich auch an sie.

Zur Person: Wolfgang Suske hat an der BOKU Wien Landschaftsökologie studiert. Sein „Naturschutzbüro“ beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Natura 2000 und Artenschutz, ländliche Entwicklung sowie Bewusstseinsbildung.

Informationen zum Umsetzungsdialog finden sich hier.

Im zweiten Teil des Gesprächs mit Wolfang Suske geht es um den Fahrplan zur Umsetzung und die Frage, ob Landwirtschaftsflächen nun stillgelegt werden müssen.

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