Und wieder ein Jahr, das als das wärmste in die Messgeschichte eingeht. 2024 war laut Geosphere Austria um knapp zwei Grad wärmer als die Jahre von 1991 bis 2020. Im Vergleich zur Periode von 1961 bis 1990 war es sogar um drei Grad wärmer. Das bedeutet auch: Die Winter werden immer milder. Sowohl in den alpinen Regionen, und noch stärker im Tiefland Ostösterreichs. Auch in der Region Neusiedler See.








Winteransichten mit Raureif und Eis, wie es sie immer seltener gibt. (Fotos: Melanie Zechmeister)
Natürlich, wer friert schon gerne im Winter? Wenn der Wind über die steppenartigen Flächen rund um den Neusiedler See weht, sinkt die gefühlte Temperatur noch um einige Grade. Tatsächlich haben Witterungen unter dem Gefrierpunkt aber einen hohen Wert für unsere Ökosysteme. Das zeigt eine ganze Reihe von Beispielen.

Warum Fröste für die Natur gesund sind
Pflanzen und Tiere unserer Ökosysteme sind gut auf längere Kältephasen eingestellt. Der Stoffwechsel wird reduziert, die Resistenz erhöht, wie man das von Bäumen kennt, die ihre Blätter im Winter abwerfen. Tatsächlich gibt es in der Region zahlreiche Pflanzen, die während der frostigen Temperaturen eine Keimruhe der ausgereiften Samen einlegen, um zum richtigen Zeitpunkt zu keimen.
Selbst bei Säugetieren gibt es diese Dormanz, um die embryonale Entwicklung für die Geburt in einer günstigen Jahreszeit vorzubereiten. Rehe, Dachse, Marder steuern ihre Tragezeit so, dass die Jungen im Frühling bei reichlichem Nahrungsangebot auf die Welt kommen.
Für zehntausende Graugänse, die im Seegebiet überwintern, stellen eisige Temperaturen kein Problem dar. Bereits im Februar beginnen sie zu brüten.

Auch die Przewalski-Pferde, die sich frei am Seevorgelände im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel bewegen, haben mit kalten Temperaturen keine Probleme. Sie grasen das ganze Jahr und verhindern, dass die Feuchtwiesen nicht mit Büschen und Bäumen zuwachsen. Die Wildpferde aus den zentralasiatischen Steppen brauchen kein zusätzliches Futter.

Eisschübe regulieren das Schilfwachstum
Thomas Zechmeister, Leiter der Biologischen Station in Illmitz, sieht durch die fehlenden Eistage auch Auswirkungen auf den Schilfgürtel. Bei der Bildung von Eis dehnt sich das gefrorene Wasser um etwas zehn Prozent aus. Das wirkt wie eine Art Mähmaschine. „Eisschübe knicken das Schilf mit natürlicher Kraft um. Ist das nicht mehr der Fall, kann sich das Schilf uneingeschränkt in Richtung offener Wasserfläche ausbreiten“, so Zechmeister in einem BVZ-Beitrag.
Die Klimaerwärmung und damit verbundene fehlende Eisdecken gestalten die Bewirtschaftung durch Schilfschneider schwierig. Mittlerweile gibt es nur noch wenige Betriebe, die in der Region Neusiedler See aktiv sind. Auch das hat zum Einbruch der Schilfbestände beigetragen.

Invasive Pflanzen vermehren sich bei fehlenden Winterfrösten
Lange stellten die strengen Winter einen natürlichen Schutzmechanismus gegen Neobiota da. Das sind eingewanderte oder hierhergebrachte Pflanzen und Tiere, die man dann als invasiv bezeichnet, wenn sie andere Organismen verdrängen. Zwar stellt der überwiegende Teil dieser Neubürger kein Problem dar.
Doch gerade konkurrenzstarke Pflanzen wie die Ölweide, Robinien, das Drüsige Springkraut oder der Japanische Staudenknöterisch vermehren sich seit der Klimaerwärmung rasant. An sensiblen Standorten wie auch in Schutzgebieten bringt das die heimische Flora zunehmend unter Druck. Pflegemaßnahmen sind nötig, sie kosten Geld und verlangen oft nach dem Engagement freiwilliger Helfer.
Aber auch in der Landwirtschaft machen sich die milden Winter nachteilig bemerkbar. Blattkrankheiten nehmen zu. Gerade Winterungen beim Getreide sind von Gelbrost, Blattfleckenpilzen und anderen Krankheiten betroffen, wenn tiefe Temperaturen fehlen. Auch Spätfröste hemmen die Verbreitung von Krankheitserregern. Das führt zu einem erhöhten Einsatz von Pestiziden und stellt die Biolandwirtschaft vor besondere Herausforderungen.
Aus wärmeren Regionen eingeschleppte Insekten werden durch anhaltende Kälte im Winter dezimiert. Heimische Tiere wie etwa der Marienkäfer sind dafür bestens gerüstet: Sie überwintern etwa unter Baumrinden oder unter Laub und verfallen in eine Art Winterstarre. Ihre Körpertemperatur kann dabei sogar unter Null Grad fallen. Dass sie nicht erfrieren, verhindert ein Glycerin, das die Käfer selbst erzeugen.

Fällt der Winter mild aus und der Frühling feucht, ist das für die Nützlinge nicht ideal. Diese Kombination fördert das Wachstum von Pilzen und Bakterien, denen viele der Insekten zum Opfer fallen können. Auch die teils frühlingshaften Februar-Monate der vergangenen Jahre, gefolgt von heftigen Kälteeinbrüchen bis in den Mai hinein stellen eine problematische Entwicklung für die Insektenpopulationen dar. Viele Tiere überleben das nicht.
Die Klimaerwärmung verändert die Ökosysteme bereits jetzt
Resümee: Die Klimaerwärmung bringt allein über die Ausbreitung invasiver Pflanzen und Tiere große Probleme mit sich, wie ein Beitrag von Scientists4future beschreibt: Insgesamt sind die Auswirkungen invasiver Arten enorm, wie ein kürzlich publizierter Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES betont: Sie spielen beispielsweise weltweit bei geschätzt 60 Prozent der Aussterbeereignisse eine Rolle; bei 16 Prozent sind sie sogar der alleinige Auslöser. Sie zählen zu den fünf Hauptursachen der Biodiversitätskrise. Die global durch invasive Arten entstehenden jährlichen Kosten werden auf 423 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Den Menschen in Österreich schaden invasive Arten als Landwirtschafts- oder Forstschädlinge (wie der Maiswurzelbohrer, ein maiszerstörender Käfer), Krankheitsüberträger (wie die Tigermücken), Allergieauslöser (wie die Beifuß-Ambrosie) oder unerwünschte Mitbewohner (wie der Waschbär). Heimische Arten ziehen oft den Kürzeren. Es wird angenommen, dass invasive Arten besonders anpassungsfähig sind und dadurch besser auf Umweltveränderungen reagieren können. Dadurch sind sie ein Treiber der Biodiversitätskrise.
Was können wir tun?
Kalte Winter sind nach allen wissenschaftlichen Rechenmodellen immer seltener zu erwarten. Gegen invasive Pflanzen können Importverbote, ein verbessertes Monitoring und frühzeitige (Pflege-)Maßnahmen helfen. Dazu zählt auch ein sorgsamer Umgang mit bedeutenden Schutzgebieten wie der Region Neusiedler See. Sind invasive Arten einmal eingeschleppt, wie Schiffe am Rumpf oder im Ballastwasser auf der Donau mitführen, wird man sie nicht mehr los. Bereits jetzt verdrängen ortsfremde Mollusken wie Schnecken und Muscheln im Nationalpark Donau-Auen heimische Arten. Die Einleitung von Donauwasser in das System des Neusiedler Sees könnte auch hier zu dieser Problematik führen. Die milden Winter befördern das.



Dünnes Eis am Neusiedler See (Fotos: Danijela Chlibowycz)
Über die Herausforderungen des Klimawandels in der Region Neusiedlersee
Ein Weißbuch mit klarem Blick auf die Fakten: Wissenschaftlich fundiert bietet diese Publikation einen systematischen Überblick für alle, die mehr über die Region Neusiedler See wissen wollen.
