Welterberegion Neusiedler See/Fertő: Unser ungeschützter Schatz

Anlässlich des Welterbetags am 18. April fragen wir bei Lina Karner, Geschäftsführerin des Vereins Welterbe Neusiedler See nach: Wie kann das reiche architektonische Erbe - wie etwa Streckhöfe - erhalten und genutzt werden?

Streckhöfe sind Bauernhöfe, bei denen sich ein Gebäude wie in einer Kette an das andere reiht: das Wohnhaus, der Stall, die Scheune, der Schuppen, ein Keller im Halbgeschoss. Im Seewinkel in der Region Neusiedler See wurden sie mangels Steinmaterial zumeist aus Lehmziegel, auch „Kotziegel“ genannt, gebaut. Die Konstruktion der Gebäude wurde für heisse Sommer möglichst kühlend und für kalte Winter möglichst energieschonend ausgelegt. Das zeigt, schon lange vor der Klimaerwärmung, dass diese Gebäude neben ihrem kulturellen Wert auch einem klaren funktionalen Gedanken folgen. Nicht wenige der Höfe wurden im Seewinkel früher durch Überschwemmungen oder auch durch Feuer zerstört. In den vergangenen Jahrzehnten mussten sie öfters neu errichteten Einfamilienhäusern weichen. Der Internationale Welterbetag ist ein guter Anlass, über den Umgang mit dieser historischen Bausubstanz nachzudenken.

Die Arkaden des Seehof Rust zeigen, wie im Sommer die hochstehende Sonneneinstrahlung verhindert werden kann – mit einem kühlenden Effekt.

Dem UNESCO Welterbe-Verein ist es ein besonderes Anliegen, neue Zugänge auch für traditionelle Gebäude wie die Streckhöfe zu finden. Sie prägen – gemeinsam mit Schlössern, Burgen und Kirchen der Region – besonders das Bild des pannonischen Raums.

Die Luftaufnahme von Fertőrákos zeigt die spezifische Bauform der Streckhöfe. © by Pellinger Attila

Wie kann die reiche, vielfältige Baukultur erhalten werden?

Wie aber soll mit dem architektonischen Erbe in der UNESCO-Welterberegion Neusiedler See/Fertő umgegangen werden? Wie kann es erhalten werden? Wie für deren Wert Bewusstsein geschaffen werden? Und welche Nutzungskonzepte gibt es im Fall von Revitalisierungen?

Solche und andere Fragen beschäftigen derzeit den UNESCO-Welterbeverein in der Region. Lina Karner, Geschäftsführerin des Vereins Welterbe Neusiedler See, kündigt für den Sommer einen neuen Managementplan an, der insbesondere auch auf den Erhalt traditioneller Bausubstanz hinweist.

Wir haben in der Region eine reiche, vielfältige Baukultur, die nicht nur aus Schlössern und Kirchen besteht, sondern auch aus traditionellen Bauwerken. Gerade sie prägen ein Ortsbild und tragen entscheidend zur Wahrnehmung von Ortskernen bei. Schlösser und Kirchen sind zumeist denkmalgeschützt. Bei Weinkellern, Stadeln, Mühlen oder Bauernhäusern ist das anders. Die Streckhöfe gibt es in dieser Form nur in unserer Region – auf österreichischer und ungarischer Seite. Meist stehen sie aber nicht unter Schutz. In den vergangenen Jahren wurden sehr viele Gebäude abgerissen. Das ist ein Verlust wertvoller Bausubstanz aus nachhaltigen, regionalen Materialien, und auch ein Verlust für die Ortskerne und deren Ortsbild.

Lina Karner, Geschäftsführerin Welterberegion Neusiedler See
Ein wunderschöner Streckhof – Wie kann es gelingen, Gebäude wie diese zu erhalten und zu nutzen? © by Gunnar Landsgesell
Ein revitalisiertes Gebäude in Sarród im ungarischen Teil des Welterbegebietes. © by Pellinger Attila

Ensembleschutz für Streckhöfe gefordert

Die Kriterien des Vereins Welterbe sind rechtlich nicht bindend. Einen Ensembleschutz, wie es ihn in anderen Bundesländern gibt, fordern Architekturexperten wie Klaus-Jürgen Bauer schon länger. Trotz privater Initiativen brauche es eine gesetzliche Verankerung. In seinem Beitrag in der Publikation Tourismusregion Neusiedler See – Risiken und Chancen einer europäischen Destination schreibt Bauer: „Wenn drei oder mehr Streckhöfe oder Keller nebeneinander stehen, dann entsteht ein Ensemble, eine maßstabsbildende Hauslandschaft, ein Ort der Erinnerung.“ Das gelte insbesondere auch für die traditionellen Bauten rund um den See. Der Verein Welterbe, der sich für einen Ensembleschutz und eine Stärkung der rechtlichen Ebene einsetzt, setzt zugleich stark auf Bewusstseinsbildung. Es gälte, so Lina Karner, mit den Gemeinden, mit dem Land, aber auch mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen:

Erst wenn der Wert des architektonischen Erbes der Region erkannt wird, können wir etwas für dessen Erhalt tun. Ich bin überzeugt, dass das gelingen kann. Es gibt auch gute Beispiele wie die Ortskerne Rust, Purbach oder in Fertőrákos, wo die historischen Ensembles wunderbar zum Ortsbild beitragen.

Lina Karner

Vielleicht muss der Blick auf „Gebrauchsgebäude“, die historisch keine repräsentative Funktion hatten, ja auch neu geschärft werden. Sie sind wie selbstverständlich hier, aber genauso selbstverständlich prägen sie das Ortsbild, ohne dass einem das vielleicht bewusst ist. Ein neuer gemeinsamer Umgang damit wäre also gefragt, so Karner.

Mir persönlich wäre es ein echtes Anliegen, wenn die Ziele unseres Managementplans nicht als Vorgaben empfunden werden, sondern als Chance, ein Bündel an Maßnahmen umzusetzen, die der Region zugutekommen. Dafür ist es notwendig, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Wir leben in einer der schönsten Regionen der Welt, mit der wir sorgsam umgehen sollten. Nützen wir doch das Thema Welterbe, in Hinblick auf die Gestaltung unserer eigenen Umgebung, und verstehen wir es als zusätzliches Qualitätskriterium. 

Lina Karner

Welterbe: Architekturen als Teil des touristischen Erlebens

Zwar ist das Welterbe kein Tourismustool, es hat aber laut Experten unbestritten einen großen Image-Effekt, weil damit vermittelt werden könne: Wir passen auf diese Kultur- und Naturlandschaft besonders auf. Wir wollen sie für spätere Generationen erhalten. Diesen Ansatz könne man, so Karner, auch als Gemeinde oder als Behörde den Bauherren entgegenhalten. Insofern sei die Instanz des Welterbes eindeutig ein Vorteil, wenn es um die Bewahrung und auch Gestaltung der Region geht. „Darauf kann man sich definitiv berufen“, so Karner. Gelungene Beispiele für den Erhalt und vor allem auch Nachnutzungskonzepte gibt es. Denn es geht nicht um die Musealisierung der Region, sondern um die Frage, wie historische Werte mit einer lebendigen Region zusammengedacht werden können.

Dass das Welterbegebiet im Nahbereich prosperierender Stadtregionen wie Wien-Bratislava-Győr liegt, sei dabei kein Nachteil. Dieser dynamische Wirtschaftsraum böte in Kombination mit dem sensiblen Schutzgebiet (Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel; Natura 2000-Gebiet) einige Möglichkeiten.

Das mittelalterliche Edthoferhaus in Neusiedl/See wurde vor Jahren vor dem Verfall gerettet und ist heute ein gutes Beispiel für ein öffentliche Nachnutzungskonzept. Heute findet sich dort die offene Kulturinitiative Weinwerk, mit Veranstaltungszentrum, Vinothek und Greißlerei. © by Gunnar Landsgesell

Ein anderes gelungenes Beispiel für Nachnutzungskonzepte im Bereich der Wirtschaftsarchitektur ist der Seehof in Donnerskirchen. Anstatt neue (Beton)Gebäude zu errichten und Böden zu versiegeln, wurde hier am Bio-Landgut Esterhazy die vorhandene Bausubstanz eines ehemaligen Arbeitergebäudes umgestaltet. Darin entstand eine moderne „Fleischmanufaktur“ zur Verarbeitung von Bio-Angus-Rindern.

Der Meierhof am Bio-Landgut Esterhazy: Das ehemalige Arbeitergebäude ist ein gelungenes Beispiel für eine Nachnutzung. © by Gunnar Landsgesell
Ein Teil der ehemaligen Arbeitergebäude am Seehof. Auch für historische Wirtschaftsarchitektur sind Nutzungskonzepte möglich. © by Gunnar Landsgesell

Neuer Panoramaweg bietet guten Blick auf die Welterberegion

Einen guten Blick auf die Gegend bietet der neu eröffnete „Panoramaweg im Welterbe Naturpark“ am Westufer des Sees. Hier zeigt sich, dass, auch wenn die Region Weltkulturerbe-Status hat, Kultur und Natur nur im Zusammenspiel gedacht werden können. Die Strecke verläuft 27 Kilometer durch den Naturpark Neusiedler See – Leithagebirge zwischen dem Waldrand und den darunter liegenden Weinbergen und den Welterbegemeinden Donnerskirchen, Purbach, Breitenbrunn, Winden und Jois. Hier lässt sich auch die Wahrnehmung schärfen, wie wichtig ein Zusammenspiel der Kräfte in einem sensiblen Natur- und Kulturraum wie diesem ist. Am Weg durch den ökologisch wertvollen Saum zwischen Wald und Offenland lassen sich Trockenrasen mit ihrer besonderen Artenvielfalt erkunden. Von oben weitet sich zudem der Blick auf das geschützte Feuchtgebiet des Neusiedler Sees mit der offenen Seefläche und dem breiten Schilfgürtel, und auch auf die historische Ortsstruktur.

Weingärten, kleinteilige landwirtschaftliche Flächen, Schilfgürtel, offene Seefläche. Integraler Teil des Weltkulturbes Fertő/Neusiedler See ist die Kultur- und Naturlandschaft. © by Lukas Beck

Der neue Managementplan des Vereins Welterbe Neusiedler See wird sich mit einer Vielzahl von Themen beschäftigen. Wie kann Bauen im Welterbegebiet ressourcenschonend und umsichtig aussehen? Darunter fällt auch das Problem der anhaltenden Zersiedelung, die es einzudämmen gilt. Während Ortskerne verwaisen, entstehen an den Peripherien Gebäude, die das Ortsbild stark beeinträchtigen. Die effiziente Nutzung von Bauland, eine Adaption des Raumplanungsgesetzes sowie die Stärkung partizipativer Prozesse sind drei Aspekte, die einen Unterschied machen können. Empfohlen wird auch ein sensibler Umgang mit touristischen Widmungen, die Nutzung leerstehender Räume in Hofgassen oder von Stadeln wäre ein möglicher Weg. Neben der Bewußtseinsbildung für den Wert traditioneller Baustrukturen wird auch eine bessere Hilfestellung bei Sanierungen angeregt. Wie können Fehler vermieden werden? Was ist bei der thermischen Sanierung zu beachten? Wie können regional verfügbare Materialien zum Einsatz kommen? Und auch der Umgang mit denkmalgeschützten Objekten wird ein Thema in dem überarbeiteten Papier sein. Oft bestehen Unsicherheiten, welchen Spielraum es bei Pflege oder Adaptionen von geschützten historischen Gebäuden gibt. Auch hier sollen die Bewußtseinsbildung und praktisches Wissen gefördert werden. Mehr dazu im Sommer, wenn der neue Managementplan erscheint.

Weiterführende Literatur:

Die Autorin Rosalinde Kleemaier-Wetl (Beiratsmitglied des Vereins Zukunft Region Neusiedler See) bietet in ihrer Publikation „Baukulturelles Erbe versus Klimaschutz und Modernität“ einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Straßen- und Angerdörfer in der UNESCO-Region.
Der Architekt und Autor Klaus-Jürgen Bauer bringt in seinem Buch Kindern die Architektur, Schönheit und Funktionalität von Streckhöfen näher.

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