Für intakte Ökosysteme sind Strukturen wie Hecken und Bäume wichtig. Das stärkt – neben anderen positiven Effekten – die Biodiversität. Sie setzen sich dafür ein, solche Strukturen wieder zu schaffen. An welche Orte denken Sie konkret?
Bis in die 1960er- und 1970er-Jahre gab es im Seewinkel noch viele Windschutzgürtel oder besser gesagt Bodenschutzstreifen an den Straßenrändern und Feldwegen. Davon ist kaum noch etwas übrig. Ein Beispiel findet sich in Frauenkirchen: Dort gibt es ein etwa 15 Meter breites Grundstück mit einem Feldweg, das im Besitz der Gemeinde steht. Früher war der Weg von Bäumen und Gebüsch gesäumt. Beides hat im Laufe der Jahre immer stärker zurückgeschnitten. Heute ist die gesamte Allee verschwunden. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Warum wurden diese Mehrnutzungshecken über die Zeit entfernt? Einen Zugang zum Acker brauchte man auch früher.
In den 1960er-Jahren hat die Landwirtschaftskammer aus öffentlichen Mitteln Bagger finanziert, um diese Windschutzgürtel herauszureißen. Damals war das Motto: Wir brauchen mehr Fläche, um Lebensmittel zu erzeugen. Mittlerweile sieht man das natürlich aus einem ganz anderen Blickwinkel. Heute werden oft wegen der immer größer werdenden landwirtschaftlichen Geräte solche Streifen gerodet.
Es gibt aber noch andere Gründe. Vielfach werden die Wegränder von den Gemeinden nicht gepflegt und die Anrainer übernehmen kurzerhand die Bewirtschaftung. Wenn immer ein Stück mehr in diese Flächen hineingepflügt wird, ohne dass das jemand kontrolliert, dann sind die Feldgehölze am Ende verschwunden. Da fehlt es bei den Landwirten auch an Bewusstsein für den Wert dieser Hecken für die Biodiversität.
Ihr Vorschlag ist, dass die Gemeinden ihre Wegenetze erheben und geeignete Flächen wieder mit Gehölzen bepflanzen?
Genau. In der Praxis könnte der nächste Schritt sein, dass der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin darauf hinweist, dass es sich um Gemeindegrundstücke handelt. Dann kann die Wiederbepflanzung mit Feldgehölzen starten. Das wäre ein erster, aktiver Schritt, der auch Bewusstsein für dieses Thema fördert. Diese Parzellen könnte man übrigens auch mit Sitzgelegenheiten gestalten, falls der Weg nahe einer Ortschaft ist. So würden die Leute deren Nutzen erkennen: Die Hecken bieten Windschutz, Schatten, und einen gemütlichen Rastplatz. Zusätzlich bieten diese Hecken auch Platz für Bienenstöcke.
Was bringt so eine Bepflanzung ökologisch?
Mit der Wiederbepflanzung von Wegrändern hätte man Elemente, das man in einem nächsten Schritt zu einem Netzwerk verbinden könnte. So kann man Brücken für Nützlinge schaffen. Wo es Bäume, Sträucher und Blühflächen gibt, siedeln sich Kleinlebewesen an, und in der Folge auch Vögel.
Vor den großen Rodungen vor einigen Jahrhunderten war der Seewinkel bewaldet. Wollen Sie den Seewinkel „wieder aufforsten“?
Nein, mir geht es nicht darum, im Seewinkel großflächig Wald anzulegen. Auch wenn ein Wäldchen, das ein Grundeigentümer da und dort anpflanzt, begrüßenswert ist. Auch wir haben auf unseren Flächen einen dreiviertel Hektar Wald angelegt. Es geht um Windschutz und Beschattung in einer mittlerweile an verschiedenen Orten ausgeräumten Landschaft.
Windschutz und Beschattung sind zwei wichtige Themen in der Region, man denke an die statistisch heißer werdenden Sommer. Könnte auch der Radtourismus von mehr Schatten profitieren, indem Radrouten zu Alleen werden?
Zum Teil könnten auch Radfahrer davon profitieren, auch wenn durchgängiges Fahren im Schatten für den Seewinkel wohl schwer umzusetzen wäre. Ich denke aber, dass man auch das Thema Neusiedler See breiter denken sollte. Dessen Wasserhaushalt wird auch durch große Verdunstungsverluste bestimmt. Wind und Hitze sind dabei ein wesentlicher Faktor. Wenn man Orte schafft, die den Wind bremsen, könnte das langfristig auch einen Effekt haben.
Humusverlust ist ein großes Thema, dafür ist maßgeblich die Winderosion verantwortlich. Sehen Sie für die Landwirtschaft im Seewinkel Handlungsbedarf?
Ja, denn der Humusverlust hat enorme Auswirkungen. Das ist eine Frage der Bodenbewirtschaftung, aber auch, ob ich auf meinen Feldern Windschatten und damit Verwehungen reduziere. Es gibt in der Region schöne Beispiele dafür, wo man gegengesteuert hat. Etwa entlang der B10, der auf der alten Strecke zwischen Neusiedl am See, Bruck an der Leitha, Richtung Wien. Dort hat man überall Windschutzgürtel angelegt. Im Seewinkel fehlen sie großteils, wir sollten sie dringend zurückbringen.
Sie setzen in Ihrem Betrieb auf ökologischen Weinbau. Wie halten Sie es auf den eigenen Flächen?
Wir haben ganz bewusst bei größeren Parzellen Mehrnutzungsflächen angelegt. Durchaus mit System, um Verbindungswege für Nützlinge zu schaffen. Direkt im Weingarten setzen wir mit Kirsche, Weingarten-Pfirsich und Mandelbäumen auf Solitärbäume. Am Rand der Parzellen gibt es Nussbäume. Auf diese Weise versuchen wir, größere Parzellen zu strukturieren, um Inseln mit Bäumen oder zur Beweidung zu schaffen. Damit brechen wir die Monokultur auf, auch das gehört zu ökologischem Landbau. Diesen Ansatz verfolgen wir seit Jahren. Als nächsten Schritt wollen wir bei einigen Parzellen von etwa 20 Reihen zwei bis drei Reihen entfernen, um dort mit Streuobstwiesen Platz für Beweidung und Biodiversität zu schaffen.
Wie wird das in der Öffentlichkeit gesehen? Gelten solche Maßnahmen als „Experimente“?
Durchaus. Aber tatsächlich ist das alles gar nichts Neues, sondern entspricht früheren Weingartenkulturen, bevor die Monokultur überhand nahm. Eine kleinstrukturierte Landwirtschaft hat enorme Vorteile, weil sich Schädlinge hier nicht so ausbreiten können, auch weil Ertrag und Qualität stabiler sind. Auf diese Weise lassen sich Flächen allerdings nicht industriell und großflächig bewirtschaften.
Zurück zu den Feldgehölzen an Wegsäumen: Wie sollte nun weiter vorgegangen werden? Funktioniert das über Einzelinitiativen oder bräuchte es ein koordiniertes Vorgehen?
Koordination wäre sicherlich gut, um zu definieren, wohin man sich entwickeln will. So könnte man die Gemeinden und auch Private anregen, diese Ideen umzusetzen. Steht das Land hinter dieser Vision, dann ließen sich wohl auch EU-Fördermittel besser abrufen. Wichtig wäre, sich anzuschauen, wo Strukturen fehlen. Im Süden des Seewinkels, in der Umgebung von Illmitz und Apetlon, gibt es viele Nationalparkflächen. Aber im Bereich Mönchhof, Frauenkirchen, Halbturn, bis Wallern wäre es wichtig, die ausgeräumte Landwirtschaft wieder zu beleben. Gegen den Verlust von Feinhumus und für eine Stärkung des Bodenlebens und mehr Artenvielfalt.
Welche Erfahrungen können Sie für alle Interessierten weitergeben?
Ich sehe die positiven Effekte rund um unseren Hof. Man merkt, wie die Vogelschar von Jahr zu Jahr zunimmt, weil es mehr Strukturen und mehr Insekten gibt. Das ganze System kommt wieder in Schwung. Wir haben – im Gespräch mit den Besitzern – auf verschiedenen Brachflächen Strohballen und Nistkästen aufgestellt. So konnten wir zum Beispiel die Zwergohreule wieder hierher holen. Heuer gab es 20 Junge dieser gefährdeten Vögel. Wir haben auch künstliche Steinhaufen als Kleinlebensräume für Insekten gebaut. Das sind zugleich schöne Landschaftselemente. Solche Ideen haben Beispielswirkung. Der Bürgermeister von Frauenkirchen fand das toll und möchte das aufgreifen.
Übrigens, darf ich noch etwas zum Thema Produktion von Lebensmittel anfügen? Mein Traum wäre, dass jeder Kindergarten und jede Volksschule einen kleinen Garten hat, wo die Kinder Gemüse anbauen, das pflegen und ernten und verkochen. Das wäre ein guter Schritt Richtung Bewusstseinsbildung: Was bedeutet Natur und wo kommen die Lebensmittel her? Das wäre eine gute Ergänzung zum Kauf eines biozertifizierten Produkts, um wichtige Erfahrungszusammenhänge herzustellen.
Zur Person: Josef Umathum ist Winzer in Frauenkirchen. Er arbeitet nach biodynamischen Kriterien, d. h. den dynamischen Rhythmen der Natur folgen und biologisch arbeiten. Die bewirtschaftete Fläche beläuft sich auf rund 40 Hektar Weinreben. Zusätzlich dienen 25 Hektar der Stärkung der Biodiversität. Auf diesen Flächen finden sich Obstbäume und extensives Grünland. Einige eigene Schafe werden zur Beweidung eingesetzt. Darüber hinaus wird von Rinderhaltern im Nationalpark Mist zur Kompostherstellung bezogen.