Region Neusiedler See: Beste Voraussetzungen für Ökotourismus

Ökotourismus schafft klare Profile für das Nordburgenland, das sich als Welterbe- und Naturschutzregion ideal eignet. Ein Beitrag von Christian Baumgartner, Prof. an der FH Graubünden und Experte für nachhaltigen Tourismus

Wie in vielen anderen Wirtschaftssektoren ist auch im Tourismus der Hang zum Greenwashing nicht zu übersehen. Dabei entwickeln Destinationen oft eine erstaunliche Kreativität und versuchen, ihre meist sehr bescheidenen Aktivitäten im Umwelt- und Naturschutz ins Schaufenster des Marketings zu stellen. Einer der ersten dafür missbrauchten Begriffe hieß „sanfter Tourismus“, in Schutzgebietsregionen gern gleichgestellt mit Naturtourismus, Agrotourismus oder Rural Tourism. Zeit für eine Klarstellung.

Ökotourismus ist ein häufig missverstandenes Konzept der Tourismusentwicklung. Es gibt nicht eine gültige, sondern mehrere, oft widersprüchliche Definitionen. Und: Ökotourismus wird immer wieder mit Naturtourismus verwechselt. Diese Verwechslung rührt daher, dass sich eine der ersten Definitionen für Ökotourismus durch die US-amerikanische Ecotourism Society im Jahr 1965 ausschließlich auf „Tourismus in Schutzgebieten“ bezog. Diese Definition hat sich über viele Umwege, wie etwa das Ziel, einen Beitrag zum Schutz der Ökosysteme zu leisten, oder das Anliegen, Bildung für Touristen und die lokale Kultur zu integrieren, weiterentwickelt. Heute verstehen wir unter Ökotourismus eine Form des Tourismus, die die Natur und traditionelle Kulturen ihrer Zielgebiete in den Mittelpunkt der Angebote stellt. In diesem Sinn leistet Ökotourismus sowohl einen Beitrag zu deren Schutz als auch zur Lebensqualität der Bevölkerung.

Der Begriff des Naturtourismus hingegen kann auch das Gegenteil von Ökotourismus sein: Eine Kurzreise, um Nationalparks in Costa Rica zu besuchen, dabei in der mitgebuchten Unterkunft eines internationalen Konzerns zu nächtigen und am Buffet eingeflogene Lebensmittel zu konsumieren, kann zwar Naturtourismus, aber definitiv nicht nachhaltig und kein Ökotourismus sein.

Im Gegensatz zum Massentourismus, der sich gern großer Hotelanlagen und für Großgruppen tauglicher Aktivitäten bedient, baut der Ökotourismus auf kleine Strukturen: auf Familien- betriebe, persönliche, oft individuelle Angebote und die Nähe zu den Menschen in der Region. Damit erzielt er eine deutlich höhere Streuung der Wertschöpfung, benötigt aber auch einen deutlich höheren Aufwand in der Vernetzungsarbeit innerhalb der Destination – und im Marketing.

Selbstbestimmte Entwicklung führt zu Tourismusakzeptanz

Was bedeutet das für die Region Neusiedler See? Die Entwicklung der Neusiedler See Card im Jahr 1999 – seit 2021 Burgenland Card –, die von Hunderten kleinen bis mittleren Unternehmen getragen wird, war ein Meisterstück an Geduld, Überzeugungsarbeit und auch beinhartem Verhandlungsgeschick. Die Kleinstrukturiertheit der Region bietet neben der Diversifizierung der Wertschöpfung noch weitere Vorteile:

Gerade die Erfahrungen der Pandemiejahre zeigen, dass Regionen mit ausgewogener Tourismusentwicklung auf Basis lokaler Anbieter krisensicherer sind als solche mit Intensivtourismus.

Ganz allgemein bleibt die Entwicklung in ökotouristisch geprägten Destinationen viel eher selbstbestimmt und wird nicht durch große, oftmals nicht lokal verankerte Konzerne gelenkt. Partizipationsprozesse, die die Bevölkerung einbinden und damit eine von allen mitgetragene Strategie entstehen lassen, sind hier deutlich einfacher umzusetzen. Die Akzeptanz der Bevölkerung von Maßnahmen, die zur Erhaltung des Natur- und Kulturerbes notwendig sind, wird damit ungleich größer.

Ökotourismus schafft klare Profile für die Destination Neusiedler See, die gemeinsam mit dem extrem positiv besetzten Image des Nationalparks zur Unverwechselbarkeit beitragen – ein enorm wichtiges touristisches Gut.

Die Zielgruppen gehören nicht nur vielfach zu Sinus-Milieus mit überdurchschnittlicher Bildung und hoher Zahlungsbereitschaft für authentische Produkte (und Naturerlebnisprogramme!). Es sind meist auch überdurchschnittlich loyale Gäste mit hohen Wiederkehrraten und einem grundsätzlichen Interesse an und Verständnis für nachhaltige Entwicklung. Sie suchen Qualität, aber nicht den Luxus von 5-Sterne-Hotels.

Wer gewinnt?

„Gut gemachter“ Ökotourismus bedeutet somit einen Beitrag zur Regionalentwicklung – birgt aber auch große neue Herausforderungen für das Destinationsmanagement. Spätestens seitdem auch die Welttourismusorganisation (UNWTO) Tourismus als Beitrag zur Umsetzung der UN Sustainable Development Goals (SDGs) sieht, vollzieht der regionale Tourismus einen Wertewandel, der ihn über den eigenen Tellerrand blicken lässt. Es geht nicht mehr (nur) um Gewinne für die touristischen Leistungsträger. – Es geht um Gewinne für die gesamte Bevölkerung der Region. Destination Management Organisationen (DMOs) müssen sich zunehmend vom Marketing und Tourismusmanagement hin zu einer Agentur für die Entwicklung der Region wandeln. Das bedeutet konkret: Nach diesem Verständnis leistet Tourismus auch außerhalb des Sektors einen Beitrag für die Lebensqualität der Bevölkerung. Touristische Infrastruktur sollte nicht nur für die Zielgruppe der Touristen, sondern auch für die Bevölkerung wertvoll und nutzbar sein. Ziele des Ökotourismus dienen der gesamten Region.

Region Neusiedler See: Beste Voraussetzungen

Die Welterberegion Neusiedler See weist nicht nur beste landschaftliche und kulturelle Voraus- setzungen auf, sondern verfügt auch über viel Erfahrung im Ökotourismus. Die Kombination aus naturtouristischen Produkten sowie der Fokus auf das Radfahren, das Weinerlebnis und vielfältige kulturelle Inhalte bieten eine Mischung, die viele andere Destinationen gerne hätten. Naturbeobachtungs- und Birdwatching-Angebote des Nationalparks, des Naturparks am Leithagebirge, aber auch der St. Martins Therme & Lodge und von Naturschutzorganisationen ziehen gerade auch in den sonst touristisch schwierigen Randzeiten Frühling und Herbst zahlreiche Gäste an. Damit wird in vielen Gemeinden rund um den See die Saison verlängert – was im Ergebnis zu Auslastungszahlen führt, die in den wenigen Gemeinden, die nur auf Wassersport setzen, niemals erreicht werden.

Gerade eine intensivierte gemeinsame ökotouristische Entwicklung in einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Ungarn und der Slowakei verspricht vielfältige weitere Chancen für die Drei-Länder-Region. Die Kombination aus attraktiven, leicht erreichbaren Schutzgebieten unterschiedlicher Charakteristik und der kulturellen Vielfalt zwischen Alpen, Donau und Puszta sowie der Aufbereitung der facettenreichen Geschichte von der römischen Besiedlung über das Habsburgerreich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs bietet unglaublich viele Angebotsmöglichkeiten.

Durch eine derartige Entwicklung könnte auch dem kleinen Manko des Tourismus im Neusiedler-See-Gebiet begegnet werden – der relativ kurzen Aufenthaltsdauer in der Region.

Die großen Chancen der Tourismusregion Neusiedler See liegen also in der Kooperation – intraregional wie interregional.

Christian Baumgartner ist Professor für Nachhaltigen Tourismus und Internationale Entwicklung an der Fachhochschule Graubünden (Schweiz). Mit seiner Firma response & ability begleitet er viele Destinationen im In- und Ausland auf dem Weg der nachhaltigen Entwicklung, u. a. als Mitbegründer von TourCert Austria.

  • In kurzen Worten: Komponenten des Ökotourismus
  • Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt
  • Beitrag zum Wohlbefinden der lokalen Bevölkerung
  • Einbezug von Interpretations- und Lernerfahrungen
  • Einbezug von verantwortungsvollem Verhalten seitens der Touristen
  • Angebote von kleinstrukturierten Unternehmen
  • Erfordert möglichst geringen Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen
  • Betonung auf einheimischem Eigentum und Unternehmen
  • Bietet Chancen, vor allem für die Landbevölkerung
    (Oliver Hillel, UN-Umweltprogramm)

Dieser Beitrag erschien in der Digitalen Publikation TOURISMUSREGION NEUSIEDLER SEE – Risiken und Chancen einer europäischen Destination (2024). Hg.: Christian Janisch, Alois Lang, Bibi Watzek. Erhältlich auf issuu.

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