Der Schilfgürtel braucht Wasserstands-Schwankungen

Die Degradation des Schilfgürtels als wertvolles Habitat muss rasch gestoppt werden. Ein Kommentar des Biologen und WWF-Experten Bernhard Kohler.

Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees verändert sich aktuell stark. Große Teile des Schilfbestandes zeigen Überalterungserscheinungen und brechen zusammen, ohne dass eine nennenswerte Verjüngung zu beobachten ist. Die hat mehrere Ursachen. Die Hauptursache ist die durchgehende Wasserbedeckung weiter Teile des Schilfgürtels seit 1965, bei gleichzeitig dramatisch verringertem Ausmaß der Wasserstands-Schwankungen. Die andauernde Wasserbedeckung bremst die Zersetzung von totem Pflanzenmaterial im Wurzelraum des Schilfs. Der dadurch erzeugte Sauerstoffmangel führt zur Bildung von Giftstoffen, die das Schilfwachstum bremsen und letztlich sogar das Absterben des Schilfs bewirken können. Eine Wiederbesiedlung der abgestorbenen Flächen kann nicht stattfinden, weil die Giftstoffe im Boden erhalten bleiben, solange er wasserbedeckt ist. Nur bei guter Durchlüftung des Bodens und geringen Wasserständen bildet das Schilf flächig Ausläufer, mit denen Lücken wieder geschlossen werden. Eine Wiederbesiedlung durch keimende Schilfsamen wäre überhaupt nur auf nassen Schlammflächen möglich. Sie hat in den letzten 60 Jahren aufgrund der ständigen Wasserbedeckung keine nennenswerte Rolle gespielt. 

Schilfernte und Brandmanagement

Das Absterben des Schilfs hat sich auch dadurch beschleunigt, dass die Schilfernte seit den 1960er Jahren dramatisch zurückgegangen ist und dass seit den 1990er Jahren das winterliche Abbrennen von Schilf aus Luftreinhaltungs- und Klimaschutzgründen verboten ist. Der Einsatz von Feuer war früher ein wichtiger Teil der Bewirtschaftung, weil er zur Vorbereitung der Ernteflächen des Folgejahrs diente.

Die Kombination aus Ernte und Feuer hat viel organisches Material aus dem Schilfgürtel entfernt und damit die Anhäufung von abgestorbenen Pflanzen gebremst.

Seitdem nur mehr wenig Schilf geerntet wird und kein Feuereinsatz mehr stattfindet, sammelt sich verstärkt totes organisches Material an, das letztlich zum Zusammenbruch des Schilfgürtels führt. Weil die gleichmäßige Wasserführung die Verjüngung behindert, zerfällt der Schilfgürtel, nur auf der seeseitigen Schilffront, die gut durchlüftet ist, kommt es gegenwärtig zu lokaler Schilfausbreitung. 

Gezieltes Rotationssystem entwickeln

Abhilfe für das Problem muss auf zwei Wegen gesucht werden: Zunächst sollte für den Schilfgürtel ein gezieltes Brandmanagement wiedereingeführt werden, um die Anreicherung von totem Material zu bremsen und die Vitalität der Schilfbestände zu steigern. Dazu müssten in einem durchdachten Rotationssystem einzelne Schilfflächen in etwa 15-20 Jahren Abstand abgebrannt werden (in Erntegebieten könnte auch häufiger gebrannt werden).

Der zeitliche Abstand ist wichtig, weil 10-15 Jahre alte Flächen für die Vogelwelt entscheidend sind, es muss also darauf geachtet werden, dass trotz des Feuereinsatzes immer genügend alte Flächen vorhanden sind. Langfristig ist es wichtig, am Neusiedler See wieder ein breiteres Spektrum an Wasserstands-Schwankungen zuzulassen. Niedrige Wasserstände und ein gelegentliches Trockenfallen des Schilfgürtels sind für die Zersetzung des organischen Materials und für die Verjüngung der Schilfbestände unverzichtbar.

Zeitweise hohe Wasserstände sind für die gesamte aquatische Lebensgemeinschaft wichtig. Eine dauernde gleichmäßige Wasserführung ist hingegen schlecht, sie widerspricht der Natur des Steppensee-Ökosystems Neusiedler See. Daher ist eine künstliche Dotierung des Sees und die damit verbundene Stabilisierung der Wasserstände auch aus der Sicht des Schilfmanagements abzulehnen.

Bernhard Kohler studierte Zoologie und Botanik an der Universität Wien. Er ist beim World Wildlife Fund (WWF) für Großschutzgebiete zuständig und Leiter der Projekte in der Region Neusiedler See.

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