Vitalisierung des Schilfgürtels

Große Teile des Schilfgürtels sind zusammengebrochen. Ökologen sprechen sich für Brandmanagement aus. Das Klimaministerium signalisiert Bereitschaft.

Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees ist mit einer Fläche von rund 160 Quadratkilometer (rund 100 km2 in Österreich, 60 km2 in Ungarn) nach dem Donaudelta das zweitgrößte Schilfgebiet Europas. Die Bedeutung des Schilfgürtels für die Wasserqualität des Sees ist evident. Aufgrund seiner Artenvielfalt stellt der Schilfgürtel zudem einen der wertvollsten Lebensräume dar, die es in Mitteleuropa gibt und ist damit ein Gebiet von hohem allgemeinem Interesse. Seltene Brutvögel (Kleines Sumpfhuhn, Mariskensänger), auch Koloniebrüter wie Reiher oder Löffler, gefährdete Amphibien (Donau-Kammmolch, Rotbauchunke) und hochspezialisierte Wirbellose (Schilfeule, Riesenzünsler) sind hier in bedeutenden Beständen vertreten. Landseitig nutzen auch Säugetiere wie Rothirsch, Reh oder Wildschwein das Schilf als Lebensraum. Eine intakte Artenvielfalt setzt ein Mosaik unterschiedlicher Altersstufen an Schilfbeständen voraus.

Aktuell befindet sich der Schilfgürtel jedoch in einem Zustand fortgeschrittener Degradation. Fast die Hälfte des Schilfgürtels ist laut Studien massiv überaltert und besteht aus Matten abgestorbener Schilfhalme, die selbst für Altschilfspezialisten unter den Vögeln als Lebensraum verloren sind. 

Dieses Schilfsterben dürfte zu den massiven Bestandsrückgängen vieler Schilfvogelarten beigetragen haben. Exemplarisch sei der Bestand des Kleinen Sumpfhuhns genannt, eine europaweit geschützte Art, der von 22.000 Brutpaaren in den 1990er-Jahren auf 4.000 Brutpaare geschrumpft ist.

Die Bruchschilfzonen schaffen weitere Probleme: Geknickte Schilfhalme zersetzen sich unter Wasser und bilden giftige Gase wie Sulfide und Ammoniak. Auf diesen Flächen findet keine Schilfverjüngung mehr statt. 

Als Ursache für den Niedergang des Schilfgürtels werden in erster Linie geringere Niederschläge angenommen, die zu einer Absenkung des Seewasserstandes geführt haben. Ein weiterer möglicher Grund liegt in einem unsachgemäßen oder fehlendem Schilfschnitt. Der derzeitige Schilfschnitt führt dazu, dass bestimmte Flächen jährlich und andere nie gemäht werden. Dadurch gibt es Schilfbestände, die älter als 30 Jahre alt sind. 

Aus kommerziellen und technischen Gründen hat die Schilfernte heute stark an Relevanz eingebüßt. Die Erntefläche hat sich mittlerweile auf knapp zehn Prozent des Schilfgürtels reduziert. Der Schilfschnitt erfolgt vor allem landseitig, während seeseitig aufgrund des erhöhten Aufwandes nur selten geerntet wird. Die fehlende Entnahme in Kombination mit niedrigen Wasserständen begünstigt in Teilbereichen wie Buchten zudem die Ausbreitung des Schilfs Richtung See. 

Nachteilige Effekte sind zu erwarten

Der Verlust an vitaler Schilfstruktur hat nicht nur ökologische Auswirkungen auf das sensible Ökosystem des Sees. Nachteilige Effekte sind auch für den Tourismus zu erwarten. Der Schilfgürtel, der – mit durchsetzt mit größeren Freiflächen – die Hälfte des Sees bedeckt, ist für den Naturtourismus, als landschaftlich prägendes Element und als Teil des Nationalparks von hohem öffentlichem Interesse. Im Rang eines Europaschutzgebietes besteht zudem die Verpflichtung zum Erhalt und zur Verbesserung des Schutzgutes. Mit dem kürzlich im EU-Parlament verabschiedeten Renaturierungsgesetz sind weitere Vorgaben (etwa hinsichtlich geschädigter Ökosysteme) zu erwarten. Da ein wesentlicher Teil der Schilffläche in Ungarn liegt, ist ein koordiniertes grenzüberschreitendes Vorgehen unumgänglich. 

Breiter Konsens über Brandmanagement

Um das sensible Ökosystem des Schilfgürtels zu retten, gibt es mittlerweile einen breiten Konsens für ein gezieltes Brandmanagement. Der Einsatz kontrollierter Feuer wird auch von Seiten des Naturschutzes gefordert. Experten bezeichnen diese Maßnahme als geradezu unerlässlich für die Regeneration zusammengebrochener Schilfbestände. Der Biologe Bernhard Kohler (WWF) spricht von einer Art „Erste Hilfe“ für den Schilfgürtel. Nationalpark-Direktor Johannes Ehrenfeldner verweist auf die positiven Effekte, die etwa nach dem (unkontrollierten) Schilfbrand im Jahr 2020 beobachtet werden konnten:

„Die Sukzession hat unmittelbar eingesetzt, innerhalb von zwei Wochen begannen die Jungpflanzen wieder zu sprießen.“

Johannes Ehrenfeldner, Direktor Nationalpark Neusiedler See

Noch bis in die 1990er-Jahre wurden in den Wintermonaten Schilfflächen abgebrannt, um die Verjüngung der Bestände zu fördern. Die damit einhergehende Feinstaubbildung sowie Schwefel- und Stickstoffdioxidemissionen stehen mittlerweile im Widerspruch zu den Grenzwerten des Luftreinhaltegesetzes. Aufgrund der Einschätzung zahlreicher Experten wäre jedoch eine Ausnahmeregelung zum Erhalt dieses bedeutenden Schutzgutes geboten. Mittlerweile fordern Experten aus verschiedensten Bereichen Gespräche mit dem Klimaschutzministerium über eine Sonderregelung für ein kontrolliertes Brandmanagement. Mittlerweile gibt es Signale aus dem Ministerium, dass im Rahmen eines Pilotprojekts erste Versuche mit kontrollierten Feuern stattfinden könnten. Zeitpunkt und genauere Infos gibt es dazu noch nicht. Experten interpretieren das allerdings als Trendwende in den Bemühungen, eine vitale Schilfstruktur in unterschiedlichen Altersbeständen wieder herzustellen. Denn für ein reguläres Brandmanagement bräuchte es eine Änderung des Luftreinhaltegesetzes. Und das kann noch dauern.  

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