Wird der Schlamm zum Thema öffentlicher Debatten, dann fast ausschließlich in einem negativen Kontext. Hafenbuchten werden für einen reibungslosen Schifffahrts- und Bootsverkehr ausgebaggert, Kanäle gilt es von vermehrten Ablagerungen freizuhalten. Insbesondere, wenn der Wasserstand im See niedrig ist – und das ist er seit Jahren. Im vergangenen Jahr wurde in einem Pilotprojekt eine neue Technik ausprobiert. Neuartige Saugbagger holen in der Stunde bis zu 300 Kubikmeter Schlamm aus dem See. Solche Eingriffe bedürfen einer wasserrechtlichen – und zuweilen auch einer naturschutzrechtlichen – Bewilligung. Mit welchen Methoden die Sedimente schließlich vom Restwasser getrennt werden, ob dafür auch Hilfsmittel verwendet werden dürfen, und wo der Schlamm am Ende landet, sind nur einige der Fragen, die in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen. Unabhängig davon gehört das Schlammsediment zum Neusiedler See wie das Schilf – ja mehr noch, es ist für ein intaktes Ökosystem unerlässlich.
Woher kommt der Schlamm?
Um mehr über die Entstehung, die Zusammensetzung und Eigenschaften des Schlamms zu erfahren, wird das Seebecken schon lange erforscht. Es wäre eine falsch, sich die Schlammschicht, die am Grund des Wassers liegt, als gleichförmige Masse vorzustellen.
Schlamm ist nicht gleich Schlamm: Die Sedimente sind weder physikalisch noch mineralogisch homogen. Das hat mit ihrer Entstehung zu tun. Es gibt Sedimente, die außerhalb des Sees entstehen, etwa durch geklärte kalziumreiche Abwässer, die als Kalkschlamm für einen kleineren Anteil an der Sedimentbildung im See verantwortlich sind. Zudem entsteht Schlamm auch durch Sedimente, die der Wind in den See einträgt. Andererseits führt die Bioproduktion von Fauna und Flora – allein durch den Schilfgürtel – zu einer großen Menge an abgestorbenem Pflanzenmaterial, das nicht vollständig abgebaut wird.
Das Wissen über diese Zusammenhänge ist für das Verständnis und die Zukunft des Sees, der deutlich von anthropogenen Maßnahmen beeinflusst ist, wichtig. Grundsätzlich gilt, dass der See, obwohl Teil eines Nationalparkgebietes, stark von menschlichen Eingriffen geprägt ist.
Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet das fragile Gleichgewicht des Sees ins Wanken, als der so genannte Einser-Kanal samt Schleusensystem am Südufer errichtet wurde. Mit dem Wasser, das abgelassen wurde, ging auch der Salzgehalt des Sees zurück. Einen weiteren Störfaktor bedeutete die verstärkte Einleitung von nährstoffreichen Abwässern, die bis in die 1970er-Jahre durch die Wulka und andere kleine Zubringer erfolgte.
Diese menschlichen Eingriffe sind also mitverantwortlich für die veränderten Rahmenbedingungen des Sees, die schließlich zu verstärkten Verlandungserscheinungen und erhöhten Sedimentationsraten führten.
Topographie des Seebodens
Neue Erkenntnisse lieferte das Forschungsprojekt „GeNeSee“ („Geodätische Neuerfassung des Systems Neusiedler See – Hanságkanal“), das Österreich und Ungarn zwischen 2011 und 2013 gemeinsam durchführten. Mithilfe verschiedener Echolot-Technologien konnte man sich ein genaues Bild des Wasserkörpers und der oberen weichen Schlammschicht wie auch der tieferen Sedimentschichten sowie des Seebodens und die gesamte im Seebecken abgelagerte Menge des Schlammes machen.
Das Echolotverfahren ermöglichte es auch, eine Topographie des Seebodens zu entwerfen. Der Schlamm bildet keineswegs eine große ebene Fläche, sondern gleicht einer Art Landschaft, die durch Sedimenttransporte und die Einwirkung des Windes immer wieder umgeformt wird. Besonders deutliche Unterschiede gibt es etwa zwischen der offenen Seefläche und den Randbereichen, zwischen dem Nord- und Südufer oder an bestimmten Stellen, wo der Wasseraustausch durch Wallbildungen behindert wird.
Für Analysen der Zukunft des Sees sind Erkenntnisse wie diese wichtig. Die Veränderungen, die man im Vergleich zu früheren Messungen festgestellt hat, liefern aufschlussreiche Daten etwa darüber, um wieviel die Schlammschicht jährlich anwächst und welche Faktoren dafür eine Rolle spielen. Zuletzt soll aber auch darauf hingewiesen werden, dass die Sedimente des Sees ein bedeutender Teil des aquatischen Lebensraumes sind. Die Gemeinschaft der benthischen Wirbellosen, die hier vorkommen, von Wasserflöhen bis Fadenwürmer, spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette. Und sie sind unerlässlich für die Abbauprozesse im See.
Mehr dazu in „Das Ende des Neusiedler Sees? Eine Region in der Klimakrise“, im Kapitel „Der Schlamm- und Sedimenthaushalt im Freiwasser des Neusiedler Sees“ von Thomas Zechmeister.